Von den europäischen Ländern kennen nebst der Schweiz aktuell nur noch Griechenland und Zypern eine «Heiratsstrafe». Aktuell nimmt die Politik einen erneuten Anlauf, sie abzuschaffen; zwei Volksinitiativen sind zum Thema zustande gekommen. Zudem hat der Bundesrat einen indirekten Gegenvorschlag ausgearbeitet, der im September 2024 vom Nationalrat knapp gutgeheissen wurde.
Ehepaare werden heute gemeinsam besteuert. Dies führt je nach Einkommensaufteilung zwischen den Ehegatten zu einer Mehr- oder Minderbesteuerung gegenüber unverheirateten Paaren. Der Volksmund bezeichnet dies gemeinhin als «Heiratsstrafe», obwohl die Steuerbelastung mit der Heirat nicht zwingend höher ausfallen muss. Je nach Aufteilung der Einkommen fällt mit der Heirat eine höhere oder eine tiefere Steuerbelastung für die direkte Bundessteuer an.
Die Abschaffung der «Heiratsstrafe» wird in der Schweiz bereits seit 40 Jahren thematisiert. Aktuell stehen die Zeichen gut, dass effektiv Bewegung in die Angelegenheit kommt.
Am 8. September 2022 wurde die Volksinitiative «Für eine zivilstandsunabhängige Individualbesteuerung (Steuergerechtigkeits-Initiative)» eingereicht. Die Initianten setzen sich aus einem überparteilichen Komitee von FDP bis SP zusammen. Der Bundesrat hat nun seinerseits einen indirekten Gegenvorschlag für die Einführung der Individualbesteuerung verabschiedet, der folgende zentrale Massnahmen vorsieht:
Dieser indirekte Gegenvorschlag des Bundesrats wurde vom Nationalrat am 25. September 2024 mit 98 zu 93 Stimmen knapp gutgeheissen. Die Vorlage geht nun zur Behandlung in den Ständerat.
Mit der Einführung der Individualbesteuerung entsprechend des bundesrätlichen Vorschlags rechnet der Bund mit Mindereinnahmen in der Grössenordnung von einer Milliarde Franken. Rund CHF 800 Millionen der Mindereinnahmen entfallen auf Bundesebene, und CHF 200 Millionen betreffen die Kantone.
Die Gegner der Vorlage argumentieren, dass diese zu neuen Ungerechtigkeiten führe. Es dürfe keine Rolle spielen, wie sich die Ehegatten die Erwerbsarbeit aufteilten. So läge die direkte Bundessteuer bei einem Doppelverdiener-Ehepaar mit gleichmässig verteiltem Einkommen bei einem Reineinkommen von CHF 150'000 bei CHF 700. Die Steuerlast bei gleichem Einkommen verteilt auf nur eine Person würde sich bezogen auf die Bundessteuer auf CHF 4'000 erhöhen, was eine erhebliche Differenz darstellt. Daher vertreten SVP und die Mitte die Ansicht, dass nur ein volles Splitting des Einkommens eine sachgerechte Lösung darstellt. Die Mitte hat 2024 ebenfalls eine Volksinitiative eingereicht. Diese verlangt, dass die Heiratsstrafe entweder durch ein Splitting oder eine alternative Steuerberechnung, bei der für das Ehepaar immer die günstigere Variante zur Anwendung kommen soll, abgeschafft wird.
Als weiteres Argument führen die Gegner die administrative Mehrbelastung ins Feld. Mit der Individualbesteuerung müssten schätzungsweise CHF 1.8 Millionen zusätzliche Steuererklärungen ausgefüllt und von den Behörden verarbeitet werden
Es herrscht Konsens, dass die steuerliche «Heiratsstrafe» der Vergangenheit angehören soll. Umstritten ist aber, wie dieses Ziel erreicht werden soll. Der Gesetzesentwurf des Bundesrats sieht vor, dass neu auch bei verheirateten Ehepaaren beide Personen eine Steuererklärung ausfüllen müssen (Individualbesteuerung). SVP und die Mitte bevorzugen das Splitting oder eine alternative Schattenrechnung als Lösung. Grundsätzlich ist die Abschaffung der «Heiratsstrafe» keine reine Frage der Steuer- und Finanzpolitik, sondern tangiert das Familienmodell und die Rollenverteilung – damit ist das Thema emotional aufgeladen. Für die Einführung inklusive Umsetzung auf kantonaler Ebene ist daher mit einem Zeithorizont von mindestens fünf Jahren zu rechnen.
Eigentlich müsste es eine einfachere Lösung mittels Tarifanpassungen oder «Schattenrechnung» geben. Schon heute wartet man teilweise sehr lange, bis eine definitive Veranlagung vorliegt. Bei einer Individualbesteuerung würde sich die Anzahl der zu veranlagenden Steuererklärungen signifikant erhöhen – ohne Mehreinstellungen bei der kantonalen Verwaltung könnten die Pendenzen wohl nicht abgebaut werden.