20.01.2022
Der Bundesrat hat entschieden, dass der erste Teil des revidierten Erbrechts auf den 1. Januar 2023 in Kraft tritt. Weitere Revisionen sind geplant, insbesondere betreffend Unternehmensnachfolge. Für sämtliche bereits erstellten sowie zukünftigen letztwilligen Verfügungen und Erbverträge gilt das im Zeitpunkt des Todes des Erblassers* geltende Recht. Auf die wichtigsten Änderungen der Erbrechtsrevision per 1. Januar 2023 wird nachfolgend kurz eingegangen.
Die zentrale Neuerung im Erbrecht ist, dass die Pflichtteile der Nachkommen reduziert werden und die Eltern des Erblassers nicht mehr pflichtteilsgeschützt sind. Der Pflichtteil der Nachkommen wird von drei Vierteln auf die Hälfte des gesetzlichen Erbteils reduziert.
Die Nachkommen des Erblassers haben somit neu einen Pflichtteilsanspruch auf einen Viertel des Nachlasses ihres verstorbenen Elternteils, wenn dieser verheiratet war, oder auf die Hälfte, wenn dieser nicht verheiratet war. Der Pflichtteilsanspruch des überlebenden Ehegatten und eingetragenen Partners ändert hingegen nicht. Dieser beträgt weiterhin, wenn keine Nachkommen vorhanden sind, die Hälfte der Erbschaft bzw. ein Viertel (½ x ½), wenn er diese mit Nachkommen teilen muss. Bei der Begünstigung des überlebenden Ehegatten oder des überlebenden eingetragenen Partners mit einer Nutzniessung beträgt die verfügbare Quote neu die Hälfte statt eines Viertels des Nachlasses.
Aufgrund der erhöhten verfügbaren Quote infolge der Reduktion der Pflichtteile können der überlebende Ehegatte, der eingetragene Partner, nicht eheliche Partner, vereinzelte Nachkommen, Organisationen etc. mittels letztwilliger Verfügung oder Erbvertrag zusätzlich begünstigt werden. Ergänzend sind die kantonalen Erbschafts- und Schenkungssteuern zu beachten, die mit dem neuen Erbrecht keine Änderung erfahren haben.
Neu können Erbvertragsgläubiger Verfügungen von Todes wegen und Zuwendungen unter Lebenden – mit Ausnahme von üblichen Gelegenheitsgeschenken – anfechten, wenn (1) die nachträglichen Schenkungen ihre erbvertraglichen Begünstigungen schmälern und (2) lebzeitige Zuwendungen im Erbvertrag nicht vorbehalten wurden.
Möchte der Erblasser über sein Vermögen zu Lebzeiten ganz oder teilweise weiterhin frei verfügen können, sind entsprechende Vorbehalte im Erbvertrag notwendig.
Nach geltendem Recht entfallen der Pflichtteilsanspruch und das gesetzliche Erbrecht zwischen Ehegatten, wenn sie geschieden sind bzw., wenn das Scheidungsurteil formell rechtskräftig ist.
Mit dem revidierten Erbrecht gilt Folgendes: Weiterhin haben geschiedene Ehegatten kein gesetzliches Erbrecht zueinander. Stirbt ein Ehegatte während eines Scheidungsverfahrens und ist (1) dieses auf gemeinsames Begehren eingeleitet oder nach den Vorschriften über die Scheidung auf gemeinsames Begehren fortgesetzt worden oder (2) haben die Ehegatten seit mindestens zwei Jahren getrennt gelebt, verliert der überlebende Ehegatte nach neuem Recht seinen Pflichtteilsanspruch, nicht jedoch sein gesetzliches Erbrecht. Dies bedeutet, dass der überlebende Ehegatte vor Eintritt der formellen Rechtskraft des Scheidungsurteils Anspruch auf seinen gesetzlichen Erbteil behält, soweit ihm dieser nicht testamentarisch entzogen wurde. Analoges gilt jeweils bei Verfahren zur Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft.
Bei hängigen Scheidungsverfahren gemäss vorstehendem Absatz entfallen die übergesetzlichen Begünstigungen bei der Vorschlagsbeteiligung beim ordentlichen Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung und bei der Gesamtgutszuweisung bei Vorliegen einer Gütergemeinschaft von Gesetzes wegen.
Aktuell besteht hinsichtlich der Auszahlung der gebundenen Vorsorgegelder Rechtsunsicherheit. Für die Versicherungen und Banken besteht ein Risiko, dass nach Auszahlung an die Begünstigten ohne vorgängige Konsultation der Erben diese die Zahlung anfechten und zum Nachlass zählen lassen wollen.
Die neu im Bundesgesetz über die berufliche Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenvorsorge (BVG) verankerte Bestimmung statuiert, dass Begünstigte aus einer anerkannten Vorsorgeform einen eigenen Anspruch auf die ihnen daraus zugewiesene Leistung haben. Die Vorsorgeeinrichtungen (Versicherung oder Bank) zahlen die Gelder den Begünstigten direkt aus.
Die Ansprüche aus der Säule 3a fallen zwar nicht in den Nachlass, werden aber der Pflichtteilsberechnungsmasse hinzugerechnet und unterliegen der Herabsetzung.
Die neuen Verfügungsfreiheiten ermöglichen dem Erblasser, sein Vermögen ungleich innerhalb der Familie zu verteilen, was unter anderem die Nachfolgeregelung bei Familienunternehmen erleichtern kann.
Im Vernehmlassungsverfahren zum revidierten Erbrecht wurden Massnahmen gefordert, welche die Unternehmensnachfolge erleichtern sollen. Der Bundesrat schickte daraufhin einen sich mit der Unternehmensnachfolge befassenden Vorentwurf in die Vernehmlassung. Dieser schlägt insbesondere vor, dass der Nachfolger unter gewissen Voraussetzungen für die Tilgung der erb- und güterrechtlichen Forderungen der anderen Erben einen Zahlungsaufschub verlangen kann, und legt den massgeblichen Anrechnungszeitpunkt bei einer lebzeitigen Übertragung des Unternehmens fest.
Weiter sieht der Vorentwurf vor, dass ein Unternehmen von einem geeigneten Nachfolger gesamthaft übernommen werden kann (Anspruch auf Integralzuweisung) und dass die weichenden Erben die Übernahme ihres Pflichtteils in Form von Minderheitsanteilen verweigern dürfen.
Gemäss heutigem Stand ist noch unklar, welche Bestimmungen in der Zukunft in Kraft gesetzt werden.
*Obwohl aus Gründen der Lesbarkeit im Text die männliche Form gewählt wurde, beziehen sich die Angaben auf Angehörige beider Geschlechter.
Falls Sie bereits letztwillige Verfügungen oder Erbverträge aufgesetzt haben, haben Sie nun knapp ein Jahr Zeit, diese zu überprüfen und gegebenenfalls an das neue Recht anzupassen. Falls Sie überlegen, eine letztwillige Verfügung oder einen Erbvertrag erstellen zu lassen, so sind bereits heute die noch nicht geltenden erbrechtlichen Bestimmungen zu berücksichtigen.