17.10.2017
BGE 6B_1199/2016, Urteil vom 4. Mai 2017: Bei der Einsetzung eines Vertrauensarztes durch den Arbeitgeber ist zu berücksichtigen, dass dieser dem Berufsgeheimnis untersteht. Der Arbeitnehmer und nicht der Arbeitgeber bestimmt, in welchem Umfang er den Vertrauensarzt vom Berufsgeheimnis befreit.
Im Mai 2013 kündigte die A AG das Arbeitsverhältnis mit C per Ende November 2013. Von Juli 2013 bis September 2013 war C in ärztlicher Behandlung. Von seinem behandelnden Arzt wurde ihm mehrfach 100%ige Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Die A AG verlangte eine vertrauensärztliche Untersuchung. Sie erhielt daraufhin vom Vertrauensarzt eine «Vertrauensärztliche Beurteilung der Arbeitsfähigkeit» mit detaillierten Angaben zur persönlichen, beruflichen und finanziellen Situation von C sowie Informationen über die gestellte Diagnose.
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte den Vertrauensarzt im November 2015 wegen Verletzung des Berufsgeheimnisses zu einer bedingten Geldstrafe. Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte im August 2016 das erstinstanzliche Urteil. Dagegen reichte der Vertrauensarzt Beschwerde beim Bundesgericht ein und beantragte seinen Freispruch. Der Vertrauensarzt machte geltend, C habe ihn nicht nur für die Durchführung der vertrauensärztlichen Untersuchung, sondern auch zum Verfassen eines Gutachtens vom Berufsgeheimnis entbunden.
Das Bundesgericht bestätigte zunächst, dass auch der Vertrauensarzt dem Berufsgeheimnis von Art. 321 StGB untersteht. In welchem Umfang der Vertrauensarzt dem Arbeitgeber berichten darf, hängt von der Einwilligung des Arbeitnehmers ab. Diesbezüglich stellte das Bundesgericht fest, dass der Vertrauensarzt in casu lediglich zur Ausstellung eines ärztlichen Zeugnisses ermächtigt worden sei. Das Bundesgericht schützte die Erwägung der Vorinstanz, wonach eine Ermächtigung zur Ausstellung eines Arztzeugnisses nur diejenigen Informationen umfasst, die gemäss Art. 328 OR die Eignung des Arbeitnehmers für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsverhältnisses erforderlich sind. Folglich durfte der Vertrauensarzt nur zum Bestehen, zur Dauer und zum Umfang der Arbeitsunfähigkeit Stellung nehmen und ob es sich vorliegend um eine Krankheit oder einen Unfall handelte. Die Erstellung eines ärztlichen Gutachtens hätte eine umfassende Befreiung des Vertrauensarztes vom Berufsgeheimnis vorausgesetzt.
Aus einer eingehenden Untersuchung des Gesundheitszustandes unter Mitwirkung des Arbeitnehmers könne keine umfassende Befreiung des Vertrauensarztes abgeleitet werden, da diese auch für die Ausstellung eines Arztzeugnisses erforderlich sei. Der Arbeitnehmer darf darauf vertrauen, dass die vom Vertrauensarzt erhobenen Informationen nicht ohne Weiteres an den Arbeitgeber weitergeleitet werden. Eine umfassende Befreiung des Vertrauensarztes vom Berufsgeheimnis zur Erstellung eines Gutachtens hätte daher die vorgängige Aufklärung von C über den konkreten Umfang der an die A AG weitergeleiteten Informationen vorausgesetzt, welche in casu nicht erfolgt sei. Die Beschwerde des Vertrauensarztes wurde daher abgewiesen.
Quelle: HR Today, Ausgabe 10/2017